In einer kürzlich in Nature Biotechnology veröffentlichten Studie hat das Team von Vassilis Roukos am Institut für Molekulare Biologie (IMB) in Mainz eine neue Methode entwickelt, mit der sowohl die Lage als auch die Struktur von DNA-Doppelstrangbrüchen, die durch das Genome-Editing-Werkzeug CRISPR/Cas9 verursacht werden, gleichzeitig beurteilt werden können. Diese Methode, die sie BreakTag genannt haben, ermöglicht es Wissenschaftler:innen, bessere CRISPR-Werkzeuge zu entwickeln und zu testen, die beim personalisierten Genome-Editing zur Behandlung derzeit unheilbarer genetischer Krankheiten eingesetzt werden können.
Wie eine molekulare Schere ist CRISPR/Cas9 ein leistungsfähiges Werkzeug zum Editieren von Genomen, mit dem Wissenschafter:innen die DNA an bestimmten Stellen schneiden können. Diese revolutionäre Technologie wird bereits erfolgreich eingesetzt, um die DNA von Patient:innen zu verändern und Mutationen zu korrigieren, die schwere Krankheiten wie Sichelzellenanämie und β-Thalassämie verursachen. Darüber hinaus verspricht sie die Heilung vieler weiterer verheerender genetischer Krankheiten, die derzeit nicht wirksam behandelt werden können. Dazu gehören Mukoviszidose, Muskeldystrophie, verschiedene Blutkrankheiten, immunologische und neurodegenerative Krankheiten und einige Krebsarten.
Allerdings birgt die CRISPR/Cas9-Technologie auch erhebliche Risiken: Das Cas9-Enzym schneidet manchmal an unbeabsichtigten Stellen abseits des eigentlichen Ziels. Außerdem sind die Veränderungen in der DNA, die beim Schneiden entstehen, nicht einheitlich und reichen von Insertionen bis zu Deletionen unterschiedlicher Größe. Diese Unvorhersehbarkeit kann dazu führen, dass die für die Krankheit verantwortliche Mutation nicht korrigiert wird. Schlimmer noch, sie kann weitere Mutationen an ungewollten Stellen verursachen. Es besteht die Möglichkeit, dass diese wiederum zu unerwünschten Nebenwirkungen führen, einschließlich Folgeerkrankungen wie Krebs. Solche Risiken müssen bei der Behandlung menschlicher Patient:innen natürlich so weit wie möglich minimiert werden.
Um die Sicherheit der Genome-Editing-Technologie zu verbessern, müssen wir verstehen, wie wir CRISPR/Cas9-Werkzeuge herstellen können, die präziser und vorhersehbarer schneiden. Wissenschaftler:innen vermuteten, dass ein Teil der Unberechenbarkeit von Cas9 darauf zurückzuführen ist, dass das Enzym manchmal DNA-Schnitte mit stumpfen Enden (d.h. ohne überhängende DNA-Nukleotide) macht, während die Schnitte manchmal versetzte Enden haben (d.h. einen Überhang von 1-3 Nukleotiden), die von der Zelle unterschiedlich repariert werden können. Niemand war sich jedoch sicher, was die Ursache dafür war oder ob die Herstellung von Cas9-Enzymen, die überwiegend auf eine bestimmte Weise schneiden, die Vorhersagbarkeit der Genom-Editierung verbessern würde, weil es keine Möglichkeit gab, die Lage und Struktur der Cas9-Schnitte in großem Maßstab zu messen.
An dieser Stelle kommt Vassilis Roukos ins Spiel. Sein Team am IMB und der Medizinischen Fakultät der Universität Patras (Griechenland) hat eine schnelle und extrem empfindliche Hochdurchsatztechnologie namens BreakTag entwickelt, die zum ersten Mal zwei Dinge gleichzeitig tun kann: Erstens kann sie die Lage von CRISPR/Cas9-Schnitten (d.h. Doppelstrang-DNA-Brüchen) im gesamten Genom erkennen und zweitens feststellen, ob sie stumpf oder versetzt sind.
Mit BreakTag analysierten die Forschenden die Struktur von CRISPR/Cas9-Schnittstellen an mehr als 150.000 Stellen im menschlichen Genom. Durch den Vergleich der BreakTag-Daten von Stellen mit bekannten CRISPR/Cas9-Reparaturergebnissen, die stumpf oder versetzt geschnitten wurden, stellten die Forschenden fest, dass versetzte Schnitte häufig zu Ein-Nukleotid-Insertionen in der DNA führen, während stumpfe Schnitte variablere Veränderungen hervorrufen. Mehr als 90 % der Stellen mit einer Ein-Nukleotid-Insertion als häufigstes Reparaturergebnis stammten von einem versetzten Schnitt. Wenn es also einen Weg gäbe, Cas9 bevorzugt versetzte Schnitte machen zu lassen, könnten Wissenschaftler:innen Ein-Nukleotid-Insertionen in der genomischen DNA zuverlässiger durchführen. Das ist genau die Art von Genome-Editing, die benötigt wird, um einzelne Nukleotid-Deletionsmutationen zu korrigieren, die die Ursache für Krankheiten wie Mukoviszidose und Muskeldystrophie sind und von denen weltweit Hunderttausende von Menschen betroffen sind.
Bei der Analyse ihrer BreakTag-Daten mit künstlicher Intelligenz (KI) entdeckten Vassilis und sein Team, dass die Sequenz der Zielschnittstelle ein wichtiger Faktor dafür ist, ob Cas9 einen stumpfen oder versetzten Schnitt macht. Genauer gesagt sorgt ein Guanin an Position 17 der Zielsequenz (auch Protospacer-Sequenz genannt) dafür, dass Cas9 eher mit einem stumpfen Ende schneidet, während ein Guanin an Position 18 eher einen versetzten Schnitt auslöst. Vassilis sagt: „Diese Entdeckung ist ein wichtiger Schritt, um Genome-Editing sicherer und zuverlässiger zu machen. Durch die gezielte Auswahl von Cas9-Zielstellen mit einem Guanin an Position 18 und ohne Off-Targets können wir jetzt Frameshift-Mutationen präziser korrigieren, wobei die Wahrscheinlichkeit von unerwünschten Nebenwirkungen deutlich geringer ist. Damit sind wir einen Schritt näher daran, CRISPR Genome-Editing auf breiterer Basis in die Klinik zu bringen und viele weitere Patienten damit zu heilen.“
Die Forschenden fanden auch heraus, dass kleine genetische Unterschiede zwischen Individuen (d.h. verschiedenen Patient:innen) die Art und Weise, wie Cas9 die DNA schneidet, und das Ergebnis des Genome-Editings beeinflussen konnten, vor allem wenn diese Unterschiede sich darauf auswirkten, ob ein Guanin an Position 17 oder 18 vorhanden war. „Unsere Forschung zeigt, dass Forscher:innen oder Ärzt:innen die Präzision und Vorhersagbarkeit von CRISPR/Cas9-Gene Editing verbessern können, indem sie die genaue Sequenz der Zielstelle bei den zu behandelnden Patient:innen betrachten und die Zielstelle entsprechend auswählen“, erklärt Gabriel Longo, Co-Erstautor der Studie.
Allgemein ist die neue BreakTag-Technologie äußerst nützlich, da sie Forschenden die Möglichkeit gibt, noch bessere Nukleasen für die Genome-Editierung zu entwickeln und experimentell zu testen, wie präzise und vorhersehbar sie arbeiten. Vassilis und sein Team haben BreakTag zum Beispiel eingesetzt, um die Aktivität, die Spezifität und das Verhältnis der erzeugten stumpfen und versetzten Schnitte für verschiedene Cas9-Varianten zu vergleichen und fanden heraus, dass einige eine höhere Häufigkeit von versetzten Schnitten und Insertionen einzelner Nukleotide aufweisen. Ärzt:innen, die einen Menschen mit einer Frameshift-Mutation behandeln, könnten daher eine dieser Cas9-Varianten verwenden, um die Chancen auf eine Korrektur der Mutation zu maximieren.
„Forschende und Unternehmen könnten mit Hilfe von KI-Tools neue Cas9-Varianten entwickeln, die für bestimmte Arten von DNA-Schnitten ausgelegt sind, und dann mit BreakTag experimentell bewerten, wie genau und vorhersehbar sie sind, um schnell festzustellen, welche Varianten sich am besten für die Korrektur einer bestimmten Mutation eignen. Damit könnten Mediziner:innen mit CRISPR/Cas9 noch mehr Krankheiten effektiv und mit weniger unerwünschten Nebenwirkungen behandeln“, sagt Sergi Sayols, der auch einer der Erstautoren der Studie ist.
Weitere Details
Weitere Informationen finden Sie unter https://www.nature.com/articles/s41587-024-02238-8
Für die BreakTag-Technologie wurde ein Patent angemeldet (WO 2024/033378 A1), https://patents.google.com/patent/WO2024033378A1/en
Vassilis Roukos ist affiliierter Gruppenleiter am Institut für Molekulare Biologie. Weitere Informationen zur Forschung der Roukos Gruppe finden Sie unter www.imb.de/roukos.
Über das Institut für Molekulare Biologie gGmbH
Das Institut für Molekulare Biologie gGmbH (IMB) ist ein Exzellenzzentrum der Lebenswissenschaften, das 2011 auf dem Campus der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) eröffnet wurde. Die Forschung am IMB konzentriert sich auf folgende aktuelle Gebiete: Epigenetik, Genomstabilität, Alternsforschung und RNA Biologie. Das Institut ist ein Paradebeispiel für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen einer privaten Stiftung und öffentlichen Einrichtungen: Die Boehringer Ingelheim Stiftung (BIS) hat sich verpflichtet, die Grundfinanzierung des IMB von 2009 bis 2027 mit insgesamt 154 Millionen Euro zu fördern. Das moderne Forschungsgebäude wurde mit 50 Millionen Euro durch das Land Rheinland-Pfalz finanziert. Von Herbst 2020 bis Mitte 2027 stellt das Land 52 Millionen Euro zur Grundfinanzierung des IMB bereit. Weitere Informationen zu IMB finden Sie unter www.imb.de.
Über das Centre for Healthy Ageing
Das „Centre for Healthy Ageing“ (CHA) ist ein virtuelles Forschungszentrum, das 2021 ins Leben gerufen wurde und Wissenschaftler:innen aus ganz Mainz zusammenbringt, die sich in der Grundlagen- und klinischen Forschung mit dem Altern und altersbedingten Krankheiten beschäftigen. Diese Erkenntnisse sollen genutzt werden, um gesundes Altern zu fördern und Behandlungen zu finden, die altersbedingte Krankheiten verhindern oder heilen könnten. Für weitere Informationen besuchen Sie bitte: www.cha-mainz.de.
Boehringer Ingelheim Stiftung
Die Boehringer Ingelheim Stiftung ist eine rechtlich selbstständige, gemeinnützige Stiftung und fördert die medizinische, biologische, chemische und pharmazeutische Wissenschaft. Errichtet wurde sie 1977 von Hubertus Liebrecht, einem Mitglied der Gesellschafterfamilie des Unternehmens Boehringer Ingelheim. Mit ihren Förderprogrammen Plus 3, Exploration Grants und Rise up! unterstützt sie exzellente Forschende in entscheidenden Karrierephasen. Außerdem dotiert sie den internationalen Heinrich-Wieland-Preis sowie Preise für Nachwuchswissenschaftler und fördert institutionelle Projekte wie beispielsweise das Institut für Molekulare Biologie (IMB) und das European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg. www.boehringer-ingelheim-stiftung.de
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Dr. Ralf Dahm, Direktor des wissenschaftlichen Managements
Institut für Molekulare Biologie gGmbH (IMB), Ackermannweg 4, 55128 Mainz, Deutschland
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